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Veröffentlichung von Bleier im Nomos Verlag, Zeitschrift „Karriere im Recht“ 2/2011, Seiten 18-20:

Was ist Zollrecht? Oder: von Hühnervierteln und kriegsentscheidenden Stühlen

Zu Beginn meiner zollrechtlichen Laufbahn konnte ich auch nicht ahnen, was Zollrecht überhaupt bedeutet und was das Zollrecht alles umfasst. Von der Tätigkeit als Verwaltungsrichter wollte ich Abstand nehmen und sah die Stellenanzeige einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft für deren Zollabteilung. Nach dem Bewerbungsgespräch hatte ich den Eindruck, die ideale Stelle für mich gefunden zu haben, weil sie fünf Interessen miteinander verband:

Die fünf Elemente des Zollrechts

Erstens ist das Europa- oder Gemeinschaftsrecht der Ausgangspunkt für die materielle Rechtslage, und darin hatte ich einen Ausbildungsschwerpunkt.

Zweitens überlagert es nicht vollständig das nationale Recht, sondern die Abgabenordnung und viele weitere Nebengesetze haben ihren eigenen Anwendungsbereich, der sich von der verwaltungsrechtlichen Sicht gut erschließen lässt.

Drittens ähnelt die Prozessordnung der Finanzgerichte, in der das Zollrecht weitestgehend angesiedelt ist, der Verwaltungsgerichtsordnung, auch wenn durchaus feinsinnige Unterschiede bestehen.

Viertens ist Zollrecht nicht nur Rechtsanwendung, sondern der Jurist muss sich – wie auch in anderen Gebieten – zum Teil intensiv mit naturwissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen; konkret damit, wie eine importierte Ware hergestellt und wozu sie verwendet wird. Ein Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge ist in diesem Zusammenhang auch vonnöten, weil nur dadurch klar wird, warum eine Ware so und nicht anders produziert wurde, und das hat schon einen Einfluss auf die Höhe des Einfuhrzolls.

Fünftens geht Zollrecht mit gewissen Sprachkenntnissen einher, denn die internationalen Verträge und deren Abwicklungen muss der Zollrechtler zwar meist nicht konzipieren, aber doch zumindest verstehen. Mir persönlich war daran gelegen, die erworbenen Sprachfähigkeiten nicht zu verlieren, sondern auszubauen.

Das Anforderungsprofil passte insgesamt zu meinem Werdegang.

Dem Staat in den Säckel zu greifen und Geld herauszuholen, ist nicht einfach

Nun war es keineswegs so, dass meine Vorstellungen über die Tätigkeit eines Zollrechtlers völlig fehlgeleitet gewesen wären, aber einen Punkt musste ich erst durch Erfahrung lernen, nämlich wie unglaublich schwierig es ist, in den Staatssäckel zu greifen und Geld herauszuholen. Einerseits begegnet man durchaus einer behördlichen Sturheit und andererseits benötigt die Finanzgerichtsbarkeit – mit wenigen löblichen Ausnahmen – mühelos fünf Jahre für eine erstinstanzliche Entscheidung. Die Zähheit der Verfahren muss man einem Mandanten erst einmal darstellen, wobei der Anwalt schnell in den Verdacht gerät, das läge an seiner Person, wenn es nicht zügiger geht. Umgekehrt stellt sich für den Anwalt die Frage, ob das von ihm betreute Unternehmen in zehn Jahren noch existiert; solange kann es nämlich dauern, wenn das Einspruchs-, Klage-, Revisionsverfahren und ein Vorabentscheidungsersuchen zum Gerichtshof der Europäischen Union durchlaufen wird. Zollrecht ist also nicht nur von den eingangs erwähnten Aspekten geprägt, sondern erfordert eine Persönlichkeit mit Durchsetzungskraft und Durchhaltevermögen, quasi einen Ausdauersportler.

Und was ist nun Zollrecht?

Aus meiner Sicht kann jede Antwort darauf nur unzulänglich sein, denn das Zollrecht hat derart viele Facetten, dass bei einer kurzen Übersicht immer eine unberechtigt in den Hintergrund rückt. Vereinfacht gesagt ist Zollrecht das Recht des grenzüberschreitenden Warenverkehrs. Dabei gibt es zwei Blickrichtungen, nämlich den Im- und den Export.

Import: Von Hühnervierteln und Knieprothesen

Beim Import geht das größte Interesse natürlich auf die Abgabenlast, die ihrerseits aus dem normalen Drittlandszoll, eventuell einem reduzierten Präferenzzoll, einem Zusatzzoll (zum Beispiel für Zucker), einem Antidumpingzoll oder gar einem Strafzoll (nein, das ist nicht dasselbe) und der Einfuhrumsatzsteuer besteht, wobei Gestaltungsmöglichkeiten wie im normalen Besitz- und Verkehrssteuerrecht Abgabeneinsparungen ermöglichen. Die Rechtsquellen sind dabei so mannigfaltig, dass einem die Sinne schwinden können. Die Zollverwaltung arbeitet mit einer Heerschar daran, den elektronischen Zolltarif zu speisen, und was dort nicht steht, gibt es auch erstmal nicht, bis jemand den einschlägigen Gesetzestext findet und einspeist. Der Jurist kann sich auf die elektronischen Vorgaben naturgemäß nicht verlassen, sondern er muss selbst auf die Suche gehen. Ausgangspunkt ist dabei zunächst die Warenbeschaffenheit, um im Zolltarif die einschlägige Linie zu finden, an deren Ende der normale Drittlandszollsatz steht. Mitunter hat man den Eindruck, die Zollverwaltung geht andersherum vor, indem sie sich den höchsten Zollsatz aussucht und dann begründet, weshalb die Ware dort hingehört. Das ist dann einer der Punkte, an denen der Jurist streiten muss, und das geht nur, wenn er sich mit so wichtigen Fragen befasst wie beispielsweise damit, ob in die Zolltariflinie für Hühnerviertel nur solche Viertel fallen, die auch eine Extremität aufweisen, oder ob es zulässig ist, Hühner so zu vierteln, dass ein Viertel nur aus der Brust besteht. Die feinsinnigen Unterscheidungen spielen jedoch nicht nur eine Rolle für den Zollsatz, sondern auch für den Satz der Einfuhrumsatzsteuer. So unterfallen vollständige Knieprothesen dem ermäßigten Umsatzsteuersatz, aber wenn die Operation nur einen Teil der vollständigen Prothese erfordert, kann es sein, dass dieses als Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit angesehen wird (auch wenn das Teil natürlich nur bei solchen Operationen verwendet wird) und dem vollen Umsatzsteuersatz unterfällt (so zum Beispiel die Titanschrauben dazu).

Neben den Abgaben interessieren aber auch Verbote und Beschränkungen (zum Beispiel für unter Naturschutz stehende Tiere oder Waren daraus), Einfuhrlizenzen (für Zucker aus aller Welt oder Kinderspielzeug aus China) und Einfuhrgenehmigungen, wobei der Streit über letztere bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit angesiedelt ist. Einfuhrseitig kommen dann noch die besonderen Verbrauchsteuern hinzu, nämlich die Tabak-, Bier-, Schaumwein-, Kaffee- und Branntweinsteuer, und selbst wenn es nicht um Einfuhren geht, bearbeitet der Zollrechtler in Deutschland auch die Mineralöl- und die Energiesteuer. Wenn bestimmte Waren per Schiff zunächst in einem anderen Mitgliedstaat der EU ankommen, achtet er auf die dortigen Verbrauchsteuern und die Einhaltung eines Steueraussetzungsverfahrens, damit beispielsweise in den Niederlanden nicht die örtliche Fruchtsaftsteuer anfällt.

Export: Keine Zölle, aber unzählige Verordnungen

Auf der Seite des Exports interessieren die Zölle hingegen gar nicht, weil es keine gibt, aber dafür umso mehr etwaige Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Produkte. Die im Jahre 2007 geschaffene Verordnung über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte fasst die zuvor gültigen sage und schreibe 21 Marktordnungen für die verschiedensten Agrarprodukte zusammen, enthält aber immer noch eine unglaubliche Fülle von Einzelregelungen, so dass der Ausführer schnell einmal „in den Genuss“ einer Sanktion kommt, weil er eine der Regelungen nicht beachtet hat. Die Amtsblätter der EU enthalten jährlich wiederkehrend gut 2.000 verschiedene Verordnungen, die sich zu einem gehörigen Teil mit eben jenen Agrarprodukten befassen. Über die ersten Jahre meiner Tätigkeit hinweg dachte ist, ich würde die Regelungen für Zucker wohl nie verstehen. Das hat sich zwar geändert, aber es bedarf einerseits eines Grundverständnisses und andererseits einer permanenten Kontrolle, ob sich die Regelungen wieder verändert haben, um richtige und dann noch für den Händler verständliche Auskünfte zu erteilen.

Im Zusammenhang mit der Ausfuhr stellen sich zum Teil wieder Umsatzsteuerfragen, obschon man annehmen sollte, die steuerfreie Ausfuhrlieferung stelle gar kein Problem dar. Das kann sich aber schnell ändern, wenn sich die Ware zuvor in einem Zollverfahren befand (zum Beispiel im Zollager) und dort eine Verfehlung eingetreten ist, welche die Zollschuld entstehen lässt. Die Einfuhrumsatzsteuer ist nichts anderes als die Umsatzsteuer bei der Einfuhr, und sie fällt immer dann an, wenn eine Zollschuld entsteht. Der Zollrechtler befasst sich dann beispielsweise mit der Frage, wie ein im Drittland ansässiges Unternehmen die bei einer Verfehlung im Zollverfahren geschuldete Einfuhrumsatzsteuer wieder zurückbekommt.

Exportkontrollrecht: Ist der Stuhl des Generals eine Kriegswaffe?

Bei dem Versuch, darzustellen, was Zollrecht erfasst, ist nun das eingetreten, was ich eigentlich vermeiden wollte, nämlich einen Rechtsbereich an letzter Stelle zu erwähnen, aber das geht nun einmal nicht anders. Wenn ich nachfolgend das Exportkontrollrecht erwähne, bedeutet dies nicht, dass es in seiner Wichtigkeit an die letzte Stelle gehört. Über Jahre hinweg war Deutschland Exportweltmeister, so dass das Thema von immenser Bedeutung ist. Gleichwohl bleibt es schwierig, für dieses letztlich eigenständige und nur über ein Umschlüsselungsverzeichnis an den Zolltarif anknüpfende Rechtsgebiet eine geeignete Position in der Darstellung zu finden; das kann eigentlich nur schiefgehen. Das Exportkontrollrecht erfasst einerseits die Kriegswaffen, andererseits aber auch gelistete Güter und deren mögliche doppelte Verwendung sowohl im zivilen als auch militärischen (und kerntechnischen) Bereich, so dass fast stets zu prüfen ist, ob Ausfuhrgenehmigungen erforderlich sind. Weshalb? Weil überspitzt gesagt selbst ein Stuhl militärisch genutzt werden kann, wenn sich ein General darauf setzt. Soll der Stuhl schließlich in einem Staat landen, der in der Völkergemeinschaft in Ungnade gefallen ist, hat der Ausführer ein Problem – und will es nicht wahrhaben, weil der Stuhl nun nicht gerade kriegsentscheidend sei. Und der Anwalt hat auch ein Problem, falls das BAFA wieder einmal Wochen braucht, um die geheimdienstlichen Erkenntnisse abzurufen, inwieweit sich der Empfänger der Güter verdächtig gemacht hat. Derweil drückt dem Exporteur der Schuh, seine Lieferverpflichtung einzuhalten.

Die verschiedenen angesprochenen Rechtsgebiete und die Vielfalt der betroffenen Waren wie auch der rechtlichen Schwierigkeiten machen die Tätigkeit eines Zollrechtlers zweifelsohne interessant und abwechslungsreich. Entgegen möglicher Erwartungen muss diese Tätigkeit keineswegs an einem Schiffs- oder Flughafen stattfinden; in aller Regel werden die Probleme schlicht am Schreibtisch abgearbeitet, und im Gegensatz zu dem „normalen“ Anwalt fehlt faktisch sogar der Kundenverkehr. International aufgestellte Unternehmen arbeiten per Email, Fax oder Telefon und ein persönliches Gespräch mit dem Anwalt ist eigentlich nur einmal nötig, damit sich der Mandant ein persönliches Bild über ihn verschaffen kann. Hin und wieder findet das zweite Treffen des Anwalts mit dem (Geschäftsführers des) Mandanten erst statt, wenn vor Gericht mündlich verhandelt wird. Einen Teil meiner Mandanten kenne ich persönlich sogar überhaupt nicht, und zwar zumeist dann, wenn sie im Ausland sitzen.

Wie kommt man nun an Mandanten?

In all den Jahren, die ich inzwischen im Zollrecht arbeite, hat allein die Mundwerbung zufriedener Mandanten gewirkt, und zwar trotz des Problems, dass gewisse Unternehmen die Kenntnis von einem Spezialisten für Zolleinsparungen als Herrschaftswissen ansehen, welches tunlichst nicht weitergegeben wird. Hingegen halte ich es für so gut wie ausgeschlossen, dass Mandanten über das Rühren der Werbetrommel kommen. Insoweit war ich in der glücklichen Lage, dass mir die Mandanten von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf dem Weg in die Selbständigkeit gefolgt sind. Der aufgezeigte Werdegang enthält aber noch einen hervorzuhebenden Aspekt, nämlich die Einarbeitung durch einen Profi, weil sich die Materie des Zollrechts beileibe nicht von selbst erschließt. Solche Profis sind übrigens nur in ganz wenigen Kanzleien oder in den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu finden, aber bei letzteren sind die sogenannten Zollabteilungen teilweise auch mit reinen Umsatzsteuerrechtlern besetzt, die die übrigen Gebiete nicht abdecken.

Auch als Zollrechtler sollte man seine Grenzen kennen, und die liegen bei mir beispielsweise im Strafrecht, obschon nahezu jeder zweite Fall mit dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat verbunden ist. In solchen Fällen ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit gefordert und zu der gehört auch das gemeinsame Wirken mit Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und natürlich Zivilrechtlern, die man als Zollrechtler eventuell eher persönlich kennt als den eigenen Mandanten.

Zollrecht: Ein Ausblick

Abschließend möchte ich noch meinen Eindruck für die künftige Entwicklung des Zollrechts darlegen. Ich hatte geglaubt, dass die Bedeutung des Zollrechts rückläufig sein würde, weil die Bemühungen der Welthandelsorganisation darauf gerichtet sind, Zölle und Handelsschranken abzubauen und immer mehr bilaterale Abkommen zwischen Staaten zur Verbesserung des Handels geschlossen werden (auch hier ist ein Tätigkeitsfeld für Zollrechtler!), aber dieser Glaube erwies sich als falsch. Bei all den hehren Reden über den Abbau von Zöllen darf man nicht verkennen, dass es sich um eine Einnahmequelle der Staaten handelt, die diese ungern preisgeben. Mit immer häufiger eingeführten Antidumpingzöllen oder Strafzöllen als Retorsion für völkerrechtswidriges Verhalten wurden de facto neue Einnahmequellen geschaffen und das geht auf nationalem Niveau mit der als Ökosteuer dahergeschlichenen Energiesteuer weiter. Zudem wird die Zollverwaltung in Zeiten knapper Haushaltskassen immer kreativer und die Entwicklung vom Wirtschaftszoll zu einem Zoll als Sanktion geht mit großen Schritten voran. Aus derzeitiger Sicht gibt es also genug für einen Zollrechtler zu tun, was naturgemäß wie in allen Bereichen eine Frage der Masse ist, denn geheim geblieben ist das Zollrecht als Nische nicht, was ich an der zwischenzeitlichen Fülle von Einträgen im Internet für dieses Gebiet festmache.

Weitere Publikationen (Auszug): „Anmerkung zum Beschluss des BFH vom 4.11.2003 zur Tarifierung von geschmolzener Magnesia“, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2004, Seite 224 ff.; siehe auch Kommentierung von Rechtsanwalt Robert Dübbers unter https://www.wkdis.de/aktuelles/rechtsnews/51457: „Der Aufsatz ist für Spezialisten des Zolltarifrechts sehr informativ, zeigt er doch, dass zur Tarifierung geschmolzener Magnesia auch nach dem von dem Autor kritisierten BFH-Urteil noch nicht alles gesagt ist. Die Argumentation des Autors ist in sich schlüssig und wohlbegründet. Sie erfasst die Begrifflichkeit der KN besser als das BFH-Urteil. Daher ist damit zu rechnen, dass es um die Tarifierung geschmolzener Magnesia weitere rechtliche Auseinandersetzungen geben wird. Jedem daran Beteiligten ist die Lektüre des Beitrags von Bleier nachdrücklich zu empfehlen.“

„Zur Bindungswirkung einer verbindlichen Zolltarifauskunft“, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2005, Seite 105 f.

Anmerkung zum Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 11.07.2017, 7 K 433/15, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2018, Beilage 2, Seiten 21 f.

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